Zeitgemäß Führen und Zukunft gestalten: Hoshin Kanri als Rahmen für Arbeits- und Führungsprozesse

Arbeits- und Führungsprozesse
Hoshin Kanri unterstützt die Arbeit der Führungskräfte
Die Herausforderungen an Unternehmensprozesse haben sich grundsätzlich geändert, sowohl in den Arbeits- wie auch in den Führungsprozessen. Sie sind schneller, vielfältiger, unberechenbarer, vielschichtiger, kurzum: anstrengend im Blick zu halten. Eine echte Herausforderung für Unternehmenslenker, Eigentümer, Gestalter und Strategen. Hoshin Kanri unterstützt dabei, die Arbeit der Führungskräfte - gemeinsam mit ihren Kunden - zukunftsorientiert zu fokussieren und zu gestalten.
Führungsstil in der Vergangenheit und heute
In der Vergangenheit war beispielsweise häufig ein patriarchalischer oder gar autokratischer Führungsstil erfolgreich. Schnelle Entscheidungen konnten top-down aufgrund überschaubarer Informationen getroffen werden. Märkte und Wettbewerb schienen übersichtlich und die langjährige Erfahrung Einzelner hinlänglich zu sein. Führungskräfte wurden mit ihren Fähigkeiten nicht gefordert und eingebunden.
In den heutigen Unternehmensstrategien werden die Rahmenbedingungen und Anforderungen für das Unternehmen und die Prozesse der Zukunft festgelegt. Die Ausrichtung der Führungsprozesse und -kultur wird dabei selten auf die neuen Herausforderungen angepasst, oder besser, aus den neuen Unternehmensprozessen abgeleitet. Es bleibt beim Gestrigen, was die Führung betrifft. Wenn sich Prozesse permanent an den Kunden ausrichten und verbessern müssen, was passiert dann mit den Führungsprozessen und wonach richten diese sich aus?
Dazu ergeben sich ein paar Fragestellungen:
Wie sind die Führungskräfte zu Führungskräften geworden?
Nach welchen Kriterien messen Führungskräfte ihren Erfolg oder werden gemessen?
Wonach wurden die Führungsprozesse und -kriterien ausgerichtet?
Kurzum: Wie kann eine Führungskraft das System, in dem sie sich erfolgreich entwickelt und etabliert hat, so verändern, dass es auch zukunftsfähig ist? Denn der Weg von Heute zum Zielbild von Morgen könnte ein deutlich anderes Führungsverhalten erfordern.
Hoshin Kanri - Geschichte
Hoshin Kanri, Policy Deployment oder Zielentfaltungs-Prozesse gehören seit vielen Jahren zum Standardrepertoire guter Unternehmensführung japanischer Unternehmen, nicht zuletzt Toyota (Quelle: Liker, Jeffrey, The Toyota Way. McGraw Hill 2004, S. 261ff). Hoshin Kanri beschreibt eine strategische Vorgehensweise für die konkrete Definition eines Zielzustandes in der Zukunft, basierend auf einem klaren, langfristigen und Werte geprägten Zukunftsbild.
Zielbild in 20 bis 30 Jahren
In der japanischen Kultur hat man 20 bis 30 Jahre im Blick und gestaltet damit einen Zeitraum, in dem man selbst als Führungskraft meistens schon gar nicht mehr im Unternehmen ist (Quelle: Hofstede&Hofstede, Culture and Organizations. McGraw Hill 2005, S. 228ff). Die Grundlage für die nachfolgende Generation wird durch gezielte Planung, Durchführung und Reflexion geschaffen. Die von W. E. Deming in den 1950er-Jahren in Japan etablierte Qualitätsmethodik PDCA* ist dabei ein wichtiger Bestandteil, einen Weg regelmäßig auf Veränderungen zu überprüfen und nach zusteuern (Quelle: Brunner, Franz J.: Japanische Erfolgskonzepte. Hanser 2008, S. 135f).
Gestaltung der Zukunft des Unternehmens wie der Gesellschaft durch Hoshin Kanri
Hoshin Kanri ist ein Zielentfaltungsprozess auf einer werteorientierten Führungsbasis, der permanent reflektiert und optimiert wird. Ursprünglich rein qualitätsorientiert, liegt der Fokus des Hoshin Kanri jedoch im weitesten Sinne auf der Gestaltung der Zukunft des Unternehmens wie der Gesellschaft.

Horizontale und vertikale Einbindung von Führungskräften
Dabei wird das Unternehmen weltweit über alle Mitarbeiter- und Hierarchieebenen ausgerichtet. Im Gegensatz zu herkömmlichen Strategieansätzen wird sehr viel Wert auf die horizontale und vertikale Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern gelegt. Dialog und Reflexion sind Teil der Führungskultur und werden systematisch geübt.
Die Erreichung des Ziels mithilfe von PDCA
Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist eine Ausrichtung aller Führungskräfte und Mitarbeiter auf ein Ziel oder Zielbeschreibung hin. Alle arbeiten jeden Tag ein kleines Stück an der Erreichung dieses Ziels. PDCA (Plan, Do, Act, Check) hilft dabei, dass alle Mitarbeiter und Führungskräfte den Sinn der neuen/angepassten Ausrichtung kennen, dass sie sich inhaltlich beteiligen können und die Vorgehensweise und Inhalte akzeptieren (Quelle: Rother, Die Kata des Weltmarktführers. Campus 209, S. 149 ff).
Hoshin Kanri – Kultur
Bei Toyota ist der Hoshin Kanri Prozess ein Teil der Führungs- und Unternehmenskultur (Quelle: Osono, Shimizu und Takeuchi: Extreme Toyota. Wiley&Sons 2008, S. 124 f). Dabei muss man einen Blick auf die besondere Kultur der Japaner legen und herausfinden, was diese ausmacht.
Es geht darum, ein Teil des größeren Zieles zu sein
In Japan gehört es nicht zum guten Ton, in einer offiziellen Runde zu heftig und kontrovers zu diskutieren und möglichst recht zu haben. Wenn gerungen wird, dann um eine für alle bestmögliche Lösung (Quelle: Coulmas, Florian: Das Land der rituellen Harmonie. Campus 1993, S. 1164 ff). Das gemeinsame Werteverständnis, die Zielausrichtung auf ein in der Zukunft liegendes Ziel führt dazu, dass Führungskräfte lernen, sich selbst stets zu hinterfragen und zuzuhören, anstatt sich selbst in den Vordergrund zu spielen und an ihren persönlichen Erfolgen zu feilen. Es geht darum, ein Teil des größeren Ziels zu sein.
Idzumi Neumärker, zertifizierte Expertin für Toyota-Methoden und in der deutschen wie der japanischen Kultur zu Hause, erklärt es so:
„Als Führungskraft habe ich mich stets zu fragen: was ist das Beste für das Unternehmen? Was dient dem übergeordneten Ziel? Wer hat hierzu welche Idee beizutragen und wie können wir täglich daran arbeiten, uns zu verbessern? Wenn jemand radikal alles infrage stellt, was wir bisher im Prozess getan haben und einen konstruktiven neuen Vorschlag macht, habe ich erst einmal zuzuhören.“
Die Generation Y in der Wertekultur
Betrachtet man die aktuellen Gegebenheiten, dann kann die Generation Y damit sehr gut umgehen. Gerade in der aktuellen Situation ist erkennbar, wie stark das gemeinsame Ziel vor dem eines Einzelnen steht. Karriereorientierte Manager jedoch fragen eher danach, was für sie dabei herausspringt. Sie haben Angst, das Gesicht zu verlieren, wollen schnelle Erfolge und haben oft kein Langfristziel. Sie dienen in erster Linie sich und ihrer Karriere - die Generation Y ihrer Zukunft. Hoshin Kanri basiert auf ein Werteverständnis. Mit dem Beitrag eines jeden Einzelnen ist ein zeitgemäßes Führen für das Unternehmen, die Umwelt und die Gesellschaft möglich (Quelle: Persönliches Gespräch, aufgezeichnet am 09. März 2020).
Bei Hoshin Kanri geht es darum die Individuen für die Gemeinschaft auszurichten
Wer den Mehrwert dieser Vorgehensweise in Struktur, Ablauf, Einbindung und Konsequenz erkennen und für sich nutzen möchte, muss sich seine eigene, darauf angepasste Art und Weise der Führung und vor allem der Kommunikation erarbeiten.
Was macht den Unterschied? Es geht nicht darum, dass jeder alles versteht und mitdiskutiert. Selbstverständlich ist jede Person ein Individuum mit eigenen Ausrichtungen und Zielen. Bei Hoshin Kanri geht es darum, diese Individuen auszurichten, die Gemeinschaft zu verstehen und für dafür einen Mehrwert zu erzeugen (Quelle: Osono, Shimizu und Takeuchi: Extreme Toyota. Wiley&Sons 2008, S. 129ff).
IM- und AM Arbeitsprozess arbeiten
Hoshin Kanri bedeutet in erster Linie Fragen zu stellen, und diese anhand des Zielbilds mit allen Führungskräften zu reflektieren. Damit die Führungskraft orientiert ist und damit Orientierung geben kann, muss sie nicht nur IM Arbeitsprozess arbeiten, sondern auch AM Arbeitsprozess arbeiten.

Hoshin Kanri – IM Arbeitsprozess
Extrahiert man aus dem erfolgreichen Vorgehen die wesentlichen Elemente eines Hoshin Kanri, so ergeben sich daraus folgende Schritte:
Je transparenter dabei das Bild der Ist-Situation eines Unternehmens ist und je klarer das Bild von der Zukunft, desto eher können Führungskräfte wie Mitarbeiter ihr Handeln strategisch ausrichten (Quelle: Rother, Kudernatsch).
Sinnvolle und messbare Kriterien im IST-Zustand
Das bedeutet, dass die Arbeitsprozesse in dem IST-Zustand sinnvoll und konkret beschrieben werden. Sinnvoll meint, dass eine „fremde“ Person mit dieser Zustandsbeschreibung ein klares Bild hat, dieses wiedergeben kann und die Zusammenhänge versteht. Diese Beschreibungen müssen messbare Kriterien enthalten, damit die späteren Veränderungsschritte nachvollziehbar sind und ihre Ergebniswirksamkeit überprüft werden kann. Dabei sind das Werteverständnis und die Beschreibung der aktuellen Führungsprinzipien ein essenzieller Teil.
Das SOLL-Zielbild der Zukunft
Angepasst an die heutige Situation und die vorstellbare Zukunft wird beim SOLL-Zielbild beispielhaft ein Zeitrahmen von 4 Jahren angenommen. Im SOLL-Zielbild wird die Wahrnehmung von verschiedenen Perspektiven von außen nach innen geführt, also erst die Außenwelt des Unternehmens, dann die Kundenwelt, dann das Unternehmen bis hin zu den einzelnen Bereichen, Abteilungen und zum Mitarbeiter. Dabei helfen zwei Fragen bei der Erarbeitung: „Was ist in z. B. 4 Jahren anders (Inhalt)?“ und „Wie viel ist gegen heute anders (Zahlen – Daten - Fakten)?“.
Akzeptanz über die Diskussion und Beteiligung
Übertragen auf das Bild eines Künstlers bedeutet dies, dass der Rahmen festgelegt wurde und sich das zukünftige Bild bereits in Konturen abzeichnet. Die inhaltliche Gestaltung, sprich die farbliche Gestaltung des Bildes, kommt aus dem Führungskreis und wird über alle Hierarchie Ebenen bis hin zu den Mitarbeitern plausibilisiert und beschrieben (vertikal wie auch horizontal). Damit stehen alle hinter den zu erreichenden Zielen. Diese sind inhaltlich verstanden und akzeptiert, auch, wenn nicht klar ist, wie der Weg zur Lösung aussieht. Die Akzeptanz wird über die Diskussion und Beteiligung geschaffen.
Über Etappenziele zum SOLL-Zielbild
Das SOLL-Zielbild beschreibt im nächsten Schritt konkret alle relevanten Prozesse und Anforderungen, die in 4 Jahren erlebbar und messbar sind. Mit diesem Zielbild fängt die eigentliche Arbeit erst an, denn aus seinen Inhalten werden Jahresziele abgeleitet, sogenannte „Etappenzielbilder". Die Summe der Etappenzielbilder wiederum ergeben umgekehrt das Zielbild. Die Operationalisierung der Etappenzielbilder findet über Ergebnis- und Prozesskennzahlen, definierte Projekte, ein kaskadiertes Shopfloor-Management und regelmäßige Ergebnis-Checks statt. An jedem Tag wird dann gemeinsam ein Stück an dem Etappenzielbild und im Ganzen an dem Zielbild zur Kunden- und Unternehmensverbesserung gearbeitet.

Hoshin Kanri – AM Führungsprozess
Das SOLL-Zielbild wiederum ist im Folgeschritt die Grundlage, um Führungsprinzipien und das gemeinsame Werteverständnis abzuleiten. Hier helfen beispielhaft die folgenden Fragen:
- „Wie muss ich führen, damit das Zielbild erfolgreich umgesetzt wird?“
- „Was muss ich als Führungskraft können, damit ich erfolgreich im Sinne des Zielbildes bin?“
Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
In der Vergangenheit, etwa in den letzten 100 Jahren, waren Technik und Produktkenntnisse die wichtigste Priorität in produzierenden Unternehmen. Je besser diese Fähigkeiten ausgeprägt waren, desto höher gelangte eine Führungskraft in der Hierarchie. Wir kennen alle Beispiele für die typische Führungskraft, die alles kann und eigentlich der beste eigene Sachbearbeiter ist. Hauptaufgabe war es, sich jede Minute um die Technik zu kümmern, also IM** Prozess zu arbeiten. Heute überlebt ein produzierendes Unternehmen nicht mehr mit Technik als Alleinstellungsmerkmal, sondern über ausgefuchste und clevere Prozesslösungen sowie wechselnde, anpassbare Fertigungsstrategien, die die Durchlaufzeit, Effizienz und Kosten gegenüber dem Wettbewerb deutlich verbessern. Was macht eine Führungskraft, die sich über die Technik entwickelt hat und die jetzt mit Themenstellungen konfrontiert wird, die sie nicht kennt und kann? Wie geht eine Führungskraft damit um, dass ihr Hauptaugenmerk auf Führen und Strategie liegen muss, da sie AM** Prozess arbeiten müsste? Diese Kompetenz kann nicht aus Büchern erlernt werden. Es ist intensive Begleitung von außen notwendig, um bislang „erfolgreiche“ Muster zu verändern. Die Veränderung startet im Kopf der Führungskraft und ist durch deren Führung anhand des Zielbilds in der Gestaltung und Organisation der Prozesse sichtbar.
Hoshin Kanri bedeutet Fragen zu stellen und zu reflektieren
Hoshin Kanri bedeutet in erster Linie Fragen zu stellen, und diese anhand des Zielbilds mit allen Führungskräften zu reflektieren. Wichtig dabei ist es zu verstehen, dass es keine pauschalen Antworten, kein Repertoire vorgefertigter Aufgaben, Themen, Kompetenzen usw. gibt, aus denen man sich bedienen kann - wie aus einem Toyota-Methodenkoffer. Jede Unternehmenskultur, jeder Führungskreis wird sich eigene Antworten erarbeiten und reflektieren müssen (Quelle: Becker, Helmut: Phänomen Toyota. Springer 2006, S. 129 ff).
Es braucht Mut um Transparenz zu schaffen
Wer sich auf diesen Weg begeben und wirklich zielorientiert und dabei uneigennützig für Unternehmen und Gesellschaft arbeiten möchte, braucht Mut. Mut, um Transparenz und Klarheit zu schaffen und konsequent zu handeln. Veränderungen finden nur im eigenen Kopf und Herzen statt, die Prozesse und Mitarbeiter sind der Spiegel des eigenen Handelns.
Es erfordert Mut, diesen Weg durchzuhalten. Führen ist harte Arbeit, es gibt viele Sackgassen und unzählige Anforderungen, die einen Menschen so gut wie immer überfordern. Wie kann eine einzelne Person Orientierung geben, obwohl sie gerade selbst nach Orientierung sucht?
Von Suchenden zu Zukunftsgestaltern
Hoshin Kanri ist ein Weg, wie aus einsamen (Fehl-)Entscheidern ein Team von Suchenden und schließlich von Zukunftsgestaltern wird. Die gemeinsame Suche nach Antworten kann über folgende Fragen geschehen:
- "Wie muss ich die Zusammenarbeit gestalten, damit die geforderte Schnelligkeit und Genauigkeit erreicht wird?"
- "Welche Kompetenz ist bei mir notwendig, damit ich meinen Beitrag für ein erfolgreiches Zielbild bringen kann? Welche Kompetenzen benötigen meine Mitarbeiter?"
- "Welche Fähigkeiten muss ich haben?"
- "Wie muss ich informieren, damit die Information so ankommt, wie sie gemeint ist und wie stelle ich das sicher?"
- "Wie und wonach muss ich alle Aktivitäten priorisieren und wie synchronisiere ich diese mit anderen Aufgaben? Und wichtig: was kann ich weglassen?"
Jeden Tag ein kleines Stück besser
Wer sich entscheidet, den Hoshin Kanri konsequent zu gehen, muss bereit sein, in erster Linie an sich selbst zu arbeiten. Am besten ist tägliches Reflektieren, nur ein paar Minuten reichen aus. Es hilft zuzulassen, dass nicht alles sofort und direkt funktioniert, dass ich Fehler mache und dass die eigene Veränderung auch schwer und mühselig ist. Auch, dass nicht jeder sofort versteht, was es mit der neuen Art zu führen auf sich hat. Dennoch: die Anstrengung lohnt sich. Nicht nur die Arbeits- und Unternehmensergebnisse werden sich verbessern. Es ist bereichernd, jeden Tag ein kleines Stück im Handeln, im Steuern und im Gestalten besser zu werden, das bedeutet, ein Teil einer lernenden Organisation zu sein.
Zusammenfassung
- Jeder ist Teil des Prozesses. Hoshin Kanri ist nicht delegierbar.
- Die Vorgehensweise wird von der Unternehmensleitung gesteuert und gelenkt.
- Alle Abteilungen sind integriert.
- Die inhaltliche Arbeit erfolgt durch die beteiligten Führungskräfte und Mitarbeiter.
- Begleitende Beratung hilft bei der Reflexion der Struktur und Methodik.
- Hoshin Kanri ist nichts für Ungeduldige: es dauert Jahre, bis es ein Selbstläufer ist.